RUSSISCHER FRIEDEN

Vor Jahren, in russischer Steppe,
Traf ich auf ein seltsames Paar:
Das Abendrot zog seine Schleppe
Ums Haus, drinnen der Samowar
 
Schon dampfte und dampfte und lockte
In Herdfeuers goldenem Schein,
Ich zögerte, harrte, mir stockte
Der Atem: Sie luden mich ein!
 
Ihr Lächeln nahm mir meine Kühle,
Mein Zweifel am Fremden zerbrach,
Wir setzten uns rasch auf die Stühle,
Der Mann zog mich zu sich und sprach:
 
„Ich suchte nie Reichtum und Siege,
Ich habe an Christus geglaubt,
Bis Deutsche im gottlosen Kriege
Mir Vater und Bruder geraubt.
 
Mein Klagen ist noch nicht zerronnen,
Wird bleiben als pupurner Fleck:
Wir sahen als Kinder Kolonnen
Gefangener Deutscher im Dreck
 
Der herbstlichen Straßen, zerissen,
Zerlumpt, von Buranen verstreut,
Wir haben mit Steinen geschmissen
Nach ihnen, am Blut uns erfreut.
 
Längst sind die Gesichter verschwommen
Der Feinde, die Wut ist verhallt,
Die Glut meiner Jugend verglommen
In Tränen, ich lebe, bin alt.
 
Nur Einen, den habe vergessen
Ich niemals! Er war jung wie ich,
Ich schlug ihn, vom Zorne besessen,
Bis Glanz von den Wangen ihm wich.
 
Ich schlug auf ihn ein immer wieder,
Mir war nicht bewußt, was geschah,
Er schloß seine bebenden Lider
Und schrie unentwegt nur „Mama“!
 
Sein Wort, mir selbst heilig, sein Flehen,
Hat mir meine Fäuste verbrannt,
Ich ließ von ihm ab, ließ ihn gehen,
Ich hatte mich in ihm erkannt!
 
“Ich sah in sein Antlitz, das blasse,
Ich spürte sein gärendes Weh,
Er reichte mir stumm eine Tasse
Und hauchte: „Mein Sohn, willst du Tee?“
 
Da hat uns ein Engel beschieden
Ein Licht, unser Herz war erhellt –
Und um uns war plötzlich ein Frieden,
Ganz so, wie am Anfang der Welt.
 
Gedicht-Band „Wilder Kaiser“